Auf einen Kaffee mit … Dagmar Schuller,
Geschäftsführerin von audEERING in Gilching
im Gespräch mit
Annette von Nordeck, Wirtschaftsfördererin der gwt Starnberg GmbH
Wie kommt man auf die Idee, ein Unternehmen wie audEERING ins Leben zu rufen?
Im Grunde war es eher eine Verkettung von Zufällen – und vor allem Neugier! Die Neugier bestimmte Dinge herauszufinden, nicht stehenzubleiben, sondern nachzufragen. Seit meinem Teenageralter habe ich mich für IT interessiert und damals in Österreich eine technische Schule besucht, wo ich programmieren gelernt habe. Später versuchte ich eine Brücke zu schlagen zwischen meinen beiden Studiengängen Informatik und Wirtschaftswissenschaften. Dazu kam ein Stipendium in New York mit Kursen im Bereich E-Business – das hat mich unheimlich weitergebracht und ich kam zurück mit einem riesigen Paket an Ideen und viel Spaß an der Thematik. Während man in Wien davon jedoch nicht viel hören wollte, ergaben sich Kontakte zur TU München, die an Sprachverarbeitung und -analyse arbeiteten. Die dort erzielten Fortschritte im Gebiet Affective Computing im Audio hat mir klargemacht, dass wir gründen müssen! Nach etwas Überredungskunst hat das dann 2012 geklappt und wir hatten dann auch gleich einen renommierten Kunden, die GFK, wo wir die Technologie zu Marktforschungszwecken eingesetzt haben. Mit der Zeit verlagerten wir uns vom projektbasierten Arbeiten hin zu eigenen Produkten. 2017/2018 erfolgte dann die Transformation in eine Firma, die einen global einsetzbaren Produkt-Stock für große Kunden anbieten konnte. 2019 kam der Durchbruch: wir haben zusammen mit einem Partner ein massentaugliches Produkt auf den Markt gebracht, das weltweit eingesetzt wird.
Was ist das genau für ein Produkt?
Es handelt sich um einen intelligenten Kopfhörer, der auf Basis von Umgebungsgeräuschen das Signal optimal adaptiert und z.B. eingesetzt werden kann, um ein optimales Hörgefühl und damit eine positive Stimmung beim Nutzer zu erzielen. Ein weiteres Produkt wird im Call-Center Bereich eingesetzt. Da ist „neutrale“ Emotionserkennung enorm hilfreich, geht es hier ja darum zu erkennen, in welcher Stimmung die Anrufer sind und wie man optimal mit ihnen umgeht, um für beide Seiten Stress zu reduzieren. Intelligente Sprach- und Audioanalyse hilft generell auch sehr gut im Gesundheitswesen, da forschen wir intensiv an unterschiedlichsten Krankheitsbildern – darunter auch Corona. Wir stehen mit unserer Forschung international sehr gut da und werden stark wahrgenommen. Bei uns kommen laufend Anfragen rein, ob wir an irgendwelchen Forschungsausschreibungen teilnehmen wollen. Zurzeit arbeiten wir an elf öffentlich geförderten Projekten. Kurz gesagt: Forschung betreiben wir, um uns ständig weiterzuentwickeln und Innovationstreiber zu sein, der Hauptumsatz kommt allerdings aus kommerziellen Aufträgen.
Was treibt Sie denn grundsätzlich an? Gibt es eine Vision, auf die Sie hinarbeiten?
Unsere Vision bei audEERING heißt humAInity. Unser Ziel ist es, durch unsere Technologie, die Kommunikation zwischen Menschen bzw. Mensch und Maschine zu verbessern und damit das Wohlbefinden der Menschheit zu steigern. Kommunikation findet durch die globale Vernetzung immer mehr in der virtuellen Welt statt – da ist der Wohlfühlfaktor oft nicht so groß. Auch wenn man sich im zwischenmenschlichen Gespräch nicht persönlich gegenübersitzt, sondern in einer virtuellen Konferenz, kann das Stress bedeuten. Gerade da ist unsere Technologie ideal einsetzbar.
Und was treibt Sie persönlich an?
Es ist nach wie vor die Neugier. Es fühlt sich einfach gut an, wenn man mittels Technologie etwas schafft, das dann in der Umsetzung tatsächlich so funktioniert. Wenn ich etwas dazu beitragen kann, dass jemand besser kommunizieren kann und er oder sie sich so wohler fühlt oder z.B. leichter mit einer Krankheit umgehen kann, oder, dass man eine Krankheit durch unsere Technologie schneller, besser, valider erkennt und therapieren kann, dann bedeutet das Glück – insbesondere auch für mich. Unsere Technologie vertrauenswürdig einzusetzen und damit einen Mehrwert schaffen – das ist mein Antrieb.
Zum Thema Corona suchen Sie zurzeit Probanden, richtig?
Ja, wir haben uns sehr schnell Gedanken gemacht, wie wir unsere Technologie in Bezug auf Corona sinnvoll einsetzen können. Ende März hatten wir bereits unser erstes wissenschaftliches Papier dazu veröffentlicht. Kann man bestimmte Corona-Symptome an der Stimme erkennen? Unser Test hat gezeigt: ja. Wir können aus dem Audiosignal bestimmte Sachen herauslesen und diese in Relation setzen zu anderen Einflüssen. Ich kann ein Modell auf „Sound Events“ trainieren, also z.B. Husten, Kurzatmigkeit oder Niesen. Aber es gibt auch noch andere Unterschiede in der Sprachaufnahme zwischen kranken und gesunden Menschen. Die EU hat interessanterweise für ein ähnliches Forschungsprojekt einige Millionen an Fördergeldern vergeben, damit die Cambridge University genau das erforscht, wo wir schon vorher dran waren. Wir lassen uns davon aber nicht abschrecken und glauben sogar, dass wir ein bisschen schneller sind und schon bald etwas Massentaugliches auf den Markt bringen können – das ist ja auch ein wesentlicher Unterschied zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Das Ganze wollen wir kombinieren mit einer Web-App oder einem Portal, wo man eine Sprachprobe abgibt, einige Fragen beantwortet und damit sozusagen sein Profil aufsetzt.
Und was könnte man dann in Bezug auf Corona erreichen?
Ziel ist natürlich die Bekämpfung des Virus durch flächendeckende und valide Diagnose, schnellere Unterbrechung der Infektionsketten und deutlich verbesserte Individualtherapie. Idealerweise spricht man eine halbe Minute oder etwas länger in das Gerät, auf dem die App läuft, und soll daraufhin vom System eine Einschätzung bekommen, ob man sich testen lassen sollte oder ob sich signifikante Merkmale, die auf eine Krankheit hindeuten, erkennen lassen, die man ärztlich validieren lassen sollte. Nach dem Motto: auf Basis deines Sprachsignals klingst du symptomatisch, kann sein, dass da was im Anflug ist oder es hat sich deutlich verschlechtert, verständige bitte gleich deinen Arzt und warte nicht zu lange. Anschließend gibt es die Möglichkeit, die Daten mit dem Arzt zu teilen. Wir finden diese Lösung sehr ideal: dauert nicht lange, man braucht kein spezielles Lese-Gerät oder Röhrchen, kein Labor, das auswertet, kein spezielles Personal und muss niemand irgendwohin schicken. Jeder hat sein eigenes Handy oder seinen Laptop, das bedeutet, ein möglicher Infektionsherd dieser Testgruppe ist auch ausgeschlossen.
Welchen zeitlichen Horizont haben Sie dafür?
Wir gehen leider von einer relativ großen Datenmenge für die Validierung aus, 250.000 valide Datensätze bis Ende des Jahres wären optimal, aber es geht auch mit weniger Daten. Dann könnte man das Modell so trainieren, dass es mit einem Schnelltest vergleichbar wäre. Das hängt natürlich davon ab, ob sich genug Menschen finden, die mitmachen und uns ihre Daten freiwillig zur Verfügung stellen. Aber irgendwo muss man ja anfangen, wir starten erstmal mit „Family & Friends“ und machen lokal Werbung, uns hier zu unterstützen.
Nach wie vor sind Frauen in der Technik-Szene recht selten, wie gehen Sie damit um?
Also für mich ist es kein Thema, ehrlich gesagt sogar eher von Vorteil. Ich habe aber auch kein Problem, in einer kompletten Männerrunde zu sitzen, das kommt permanent vor. Manch einer versucht schon mal, meine technische Kompetenz zu hinterfragen, aber das ist für mich keine Herausforderung, sondern amüsiert mich eher. Ich denke zwar, dass es bei einem Mann nicht vorkommen würde, aber gut… Andersrum rutsche ich auch manchmal noch irgendwo rein, da man sagt „wir brauchen hier noch eine Frau, sonst haben wir wieder nur Männer in der Runde sitzen“. Ganz ehrlich, das ist mir ziemlich egal: wenn ich erstmal drin bin, kann ich meine Botschaft kommunizieren, das ist mir viel mehr wert. Ob ich da jetzt eine Quote erfülle oder als Einzelperson irgendwie raussteche, das ist für mich irrelevant. Hauptsache, mein Ziel wird erreicht.
Was könnten sich andere bei Ihnen abschauen? Als Gesellschaft ganz im Allgemeinen, aber auch andere Frauen in vergleichbaren Positionen?
Also ich muss sagen, dass ein Rückschlag manchmal gar nicht verkehrt ist – das spornt einen an und man denkt sich: jetzt erst recht. Gute Ratschläge nehme ich natürlich gerne an, wenn sie fundiert und sinnvoll sind. Manches ist aber einfach historisch bedingt oder es geht um irgendein Klischee. Dann sage ich den Leuten, sie sollen mir erstmal beweisen, dass es so nicht geht. Daran scheitern die meisten dann sowieso schon…
Für die Gesellschaft an sich würde ich mir drei Dinge wünschen: 1. mehr Neugier und weniger Bequemlichkeit, 2. mehr Offenheit für neue Dinge und 3. mehr Vertrauen in die KI. Ich finde es wichtig, nicht alles Neue negativ zu sehen, sondern mutig nach vorne schauen und sich als mündiger Bürger/ Bürgerin aktiv zu informieren, welche Chancen etwas bietet. Wir verfügen über eine Technologie, mit der wir sehr viel erreichen können. Ob wir wollen oder nicht, rollt da eine riesige Transformationswelle auf uns zu, da müssen wir in Deutschland – aber auch in Europa – umdenken. Datenschutz ist wichtig, aber Wettbewerbsfähigkeit ist auch absolut relevant: China und USA können auf so viel mehr Daten zugreifen und so ihre Systeme deutlich besser validieren. Damit funktionieren diese eben auch besser und werden mehr nachgefragt. Diese Schere kann man irgendwann nicht mehr schließen. Wenn hierzulande jemand seine Gesundheitsdaten preisgeben soll, denken alle gleich: um Gottes Willen, da habe ich ja einen Nachteil bei der Versicherung. Auf der anderen Seite verrät die gleiche Person auf Facebook, wo sie gerade hingeht, den Urlaub verbracht hat, wie viele Kinder sie hat und welches Shampoo sie gerade nutzt – alles komplett transparent. Und mit einem „I agree“ wird zugestimmt, dass das Ganze Richtung Silicon Valley geht. Bei Google oder Amazon ist es das Gleiche und da macht sich keiner Gedanken darüber. Wenn man sich Alexa anschaut – das ist ein wunderbares Gerät, keine Frage – wird klar, was Sprachsteuerung alles kann. Aber die Sprachdaten behält sich Amazon selber. Und das ist wirklich eine ungleiche Basis, weil viele Leute hier so selbstverständlich ihre Daten abgeben. Da würde ich mir wünschen, dass man mehr mitdenkt. Mir wäre eine Widerspruchslösung am liebsten, aber in jedem Fall sollte man sich konkret damit auseinandersetzen, was man will und was nicht. Und, ganz wichtig: Nutzungsbedingungen sollten nicht länger als 1-2 Seiten sein und so geschrieben, dass man sie wirklich versteht. Ich bin mir sicher, niemand würde mehr Facebook nutzen, wenn er wüsste, was da drinsteht.
Welche Vorteile hat der Standort Gilching für Sie?
Wir haben hier in der Region exzellente Leute durch die Universitäten, die sind einfach top. Gerade jetzt in der Zeit, wo man sehr viel remote arbeitet, spielt es auch eine Rolle, ob man ein schönes Haus oder eine schöne Wohnung hat. Ich würde sagen, so gesehen ist das hier die beste Region Deutschlands: Der Freizeitwert ist traumhaft, wer hierherzieht, will in der Regel auch nicht mehr weg. Der Standortfaktor ist enorm und die Leute sind hier durch hervorragende Arbeitsbedingungen geschützt. Wenn sie in den USA oder China arbeiten, haben sie weder Sozialleistungen noch solche Möglichkeiten wie hier. Auch was Work-Life-Balance betrifft, sind wir hier deutlich weiter als in USA oder in Asien, wo das Thema jetzt erst langsam aufkommt. In Bayern hat man aber auch einen extrem starken Konkurrenzdruck: Wer es hier nicht schafft, geht unter – das ist eine harte, aber auch eine gute Schule. Auch politisch gesehen ist es hier super, man hört den Unternehmen zu, nimmt sie ernst und handelt entsprechend. Also eigentlich gibt es keinen besseren Unternehmensstandort als Bayern.
Fällt es Ihnen leicht Mitarbeitende zu gewinnen?
Ja, absolut. Wir haben in der Wissenschafts-Community ein hervorragendes Renommee und bekommen sehr viele Bewerbungen, oft direkt von der Uni. Aber auch für Praktikumsplätze und wir sind seit letztem Jahr auch ein Ausbildungsbetrieb. Mitarbeiter-Finden war also noch nie ein Problem für uns. Was allerdings gerade bei uns im Unternehmen ein bisschen schwierig ist, ist die Kombination gesetzlicher Vorgaben mit unseren sehr flexiblen Arbeitsweisen und der Leistungsstruktur. Beispiel Zeiterfassung: Wir müssen ja darauf achten, dass nicht mehr als zehn Stunden gearbeitet wird, Pausen eingehalten werden und dass wir das ggf. auch nachweisen können. Jetzt machen Sie mal in einem jungen, agilen Unternehmen eine Zeiterfassung. Da hat keiner Lust drauf, so fängt’s schon mal an. Dazu kommt die Angst vor einer Überwachung und dann wird noch diskutiert: „bisher ging das doch auch ohne, wieso denn jetzt“… Große Unternehmen haben ohnehin klare Strukturen, die tun sich da leichter. Wir müssen uns da erst ein System erarbeiten. Ich hätte es nicht gebraucht, ich vertraue einem guten Mitarbeiter sowieso. Mir als Arbeitgeberin ist es viel wichtiger, mit meinem Team im Austausch zu sein, um passende Lösungen zu finden. Wer mehr als zehn Stunden arbeiten will, weil er oder sie Spaß am Projekt haben, frisch von der Uni kommen und keine Familie haben, der soll das machen! Warum muss ich dem sagen, dass er nach zehn Stunden aufhören muss? Für andere braucht es vielleicht andere Strukturen – Ziel ist es für jeden eine gute Lösung zu finden. Hier sehe ich aber die Corona-Krise als Motor für mehr Flexibilität.
Wenn Sie irgendwie einen Platz zum Auftanken in der Region StarnbergAmmersee brauchen, wo gehen Sie hin?
Also, ich habe mehrere Lieblingsplätze. Der wunderschöne Buchenwald hinten beim Gilchinger Feld ist mein Lieblingsziel für die Joggingrunde. Der zweite Kraftort zum Auftanken ist bei der Keltenschanze. Ich kann jedem empfehlen, da mal kurz hinzufahren und dort durch den Wald zu gehen. Und dann habe ich auch noch einen ganz speziellen Platz am Weßlinger See, der mir besonders gut gefällt. Leider sind da immer recht viele Leute, deshalb komme ich eher abends, wenn alle wieder weg sind.
Wie finden Ihre Kinder das, was Sie machen?
Eigentlich finden die das gut. Als wir aber letztes Jahr in unserem Gilchinger Stadion standen, das da audEERING-Arena hieß, meinte mein älterer Sohn schon: „Mama, das ist jetzt echt peinlich. Alle wissen, dass es von dir ist.“ Aber irgendwie fand er es auch witzig, dass er da unter diesem Schild durchlaufen durfte. Meine Kinder waren auch schon öfter für bestimmte Projekte in der Firma, da mussten sie mitmachen, ob sie wollten oder nicht, das ist Solidarität. Meistens sind sie am Anfang skeptisch, aber finden es dann doch recht spannend und mögen es. Wobei sie beide beruflich ganz andere Ambitionen haben.
Sind Sie ein „Scanner-Typ“? Also ein Mensch, der viele Ideen produziert, dafür aber auch viel von außen aufnimmt.
Ja, da würde ich schon sagen, dass ich der Scanner-Typ bin. Ich bin sehr offen für Trends oder neue Ideen. Am liebsten würde ich noch viel mehr Dinge umsetzen, aber manchmal fehlen ganz einfach die Ressourcen dazu. Da muss man dann eben schon Prioritäten setzen. Mir fallen aber 20.000 Dinge ein, die man theoretisch mit der Technik machen könnte.
Und zu guter Letzt – wie trinken Sie Ihren Kaffee?
Ich trinke am liebsten Cappuccino. Oder eine Melange. Also immer mit Milchschaum, das ist mir die liebste Variante.